Hauser Sonderreise – Sibirien, Reise in das goldene Altai

„Was wollt Ihr denn da – ist es da nicht saukalt“ – dies war der allgemeine Tenor, gepaart mit unverständlichen Kopfschütteln, wenn man als Reiseziel Sibirien in den Mund nahm. Trotzdem waren schnell 11 Unerschrockene für eine Tour gefunden – das für Jahrzehnte „verbotene“ Reiseziel lockte einfach ungemein.

Sanft schwebt die mächtige Tupolev über Moskau ein – Wald und Seengebiete soweit das Auge reicht – die Größe Rußlands zeigt sich schon im Anflug auf die Hauptstadt.

Handygeklingel und Hektik am Flughafen, Stau und Unmengen von Werbeplakaten auf den Straßen, erinnert zuerst an unsere Großstädte. Dann elegante Weite, viel Platz zwischen den mächtigen Bauten, die Hauptstadt zeigt plötzlich Größe. Der Mund bleibt uns offen stehen. Am Ufer der Moskwa, genau gegenüber dem „weißen Haus“ und neuen Parlaments Rußlands, prächtig angestrahlt der „Zuckerbäcker-Wolkenkratzer „ Stalins, heute ein 300m hohes Luxushotel – unsere „bescheidene“ Bleibe.

Fantastisch der Blick aus dem 35. Stock meines Zimmers auf die Innenstadt, den Kreml und die Lomonosov Universität auf den Sperlingsbergen. Gegenüber vor genau 10 Jahren schossen noch Aufständische Granaten in das „Weiße Haus“, jetzt liegt es ruhig und friedlich da. Seltsam wie schnell sich dieses riesige Land politisch geöffnet und verändert hat.

Der rote Platz sieht in „Natura“ viel größer aus als auf Fotos, die 2 km lange Kremlmauer ist auch kein Pappenstiel. Der Rundgang durch das „Herz“ Rußlands mit seinen prächtigen Kapellen und Kathedralen aus Zaren Zeiten, den Regierungsgebäuden und geschichtsträchtigen Plätzen wird einem immer im Gedächtnis bleiben. Tamara, unsere Führerin, eine resolute Sechzigerin und gebürtige Moskauerin, bringt uns die Geschichte, aber auch die täglichen Probleme der Bevölkerung temperamentvoll „rüber“. Nächstes Ziel: das riesige und wunderschöne Kaufhaus GUM, ein neoklasizistischer Prachtbau der Jahrhundertwende, in dem viel zu teure, westliche Waren angeboten werden. Dann die berühmte Moskauer U-Bahn, das Aushängeschild der stalinistischen Machthaber – jede Station ein Kunstwerk aus Marmor, Stahl, Bronze und Stein, verziert mit Mosaiken der besten Künstler - 9 Millionen Personen werden hier täglich befördert, peinliche Sauberkeit überall. Tief beeindruckt geht’s vorbei am Neuen, über 100m hohen Denkmal für Peter den Großen an der Moskwa. Genau gegenüber die neue und gleichzeitig alte Moskauer Kathedrale, zerstört von Stalin und jetzt wieder aufgebaut für 300 Millionen Dollar! Unfaßbar schön im Inneren, die Malereien, Ikonen und goldenen Farben, über 100m hoch ist das Aushängeschild der wieder auferstandenen Russischen Kirche. Der russische Patriach hält gerade eine Messe, orthodoxe Chöre geben ihr Bestes, schon sind wir vom „Mütterchen Rußland“ gefangen und fasziniert.

Noch vollgesogen mit all diesen Eindrücken, kommen wir bei Morgengrauen mit der neuen Boeing der Aeroflot in Nowosibirsk an. Das Ankunftsgebäude gleicht eher einer Baracke, die Zufahrt zur 1,5 Millionen Stadt ohne Beleuchtung und voller Schlaglöcher, die Plattenbauten in erbärmlichstem Zustand. Moskau ist nicht Rußland, die Realität hat uns wieder, der Niedergang und die Mißwirtschaft der letzten Jahre ist überall zu sehen.

Roman, unser 22 jähriger Dolmetscher, zeigt uns seine Stadt – die Oper, das Eisstadion, der Park und natürlich die vielen „Schnecken“ ( O-Ton Roman) sind wohl das Schönste. Nein, wir entdecken am riesigen 200 km langen Stausee des Ob auch schöne Badestrände ( 20 Grad warmes Wasser! ), dazu ein nagelneues Zug-Museum, eine 300 Jahre alte Stabkirche mit einer freundlichen russischen Bauersfrau, die uns im Inneren alte Märchen erzählt. Ja und der Bahnhof der Stadt schlägt alle Rekorde – es ist der Größte der transsibirischen Eisenbahn, mächtige Kronleuchter hängen in riesigen Hallen, weiße Marmorfußböden, so sauber das man davon essen könnte! Tausende von Menschen warten geduldig auf ihre Abfahrt, dieser längsten Eisenbahnstrecke der Welt. Große Uhren zeigen die lokale, die Moskauer und pazifische Zeit an. Kein Wunder in einem Land mit 10 Zeitzonen!

Eine adrett gekleidete Schaffnerin erwartet uns bei unserem Schlafwagen – jeder Wagon hat eine eigene Zugbegleiterin. Wir bekommen frische, gebügelte Bettwäsche, eine Teetasse aus getriebenen Silber!, heißes Wasser aus dem Samowar, der mit offenen Feuer! angeschürt mitten im Wagon gute Dienst tut. Ein Blumentopf steht auf dem Tisch, am Fenster weiße Gardinen, klassische Musik aus dem Lautsprecher, wir fahren los.
Die 350 km in Richtung Süden nach Bijsk vergehen wie im Flug. Endlose Taiga, Birkenwälder ( es gibt 30 Arten in Rußland!) ziehen an uns vorbei – nur sehr selten ein Dorf, kaum ein Licht in der Nacht. Das „DADONG“ wenn der Zug über die Schweißnähte der Gleisschwellen fährt, hallt ewig weit in dieser Stille der endlosen Natur.  

Wir werden von Sascha mit seinem „Urali-Mausi“ erwartet?! Es ist ein Monstergefährt aus alten Militärtagen, ideal für die nächsten 1000km, ein riesiger Truck mit sechs, meterhohen Rädern, 5 Differentialen und „nur“ 48 Liter Diesel auf 100km! In einem Art Container sitzen wir hinten, der Fahrer klettert über eine Leiter in das Führerhaus und los geht’s. Unter mächtigen Gebrüll und großen Vibrationen erreichen wir beachtliche 70 km/h auf der Teerstraße. Urali-Mausi wird seine Fähigkeit erst später im Hinterland beweisen - wie ein Traktor durchpflügt er jede Geländepiste und noch so steile Steigung.

Nach 150km ist Gorno Altaisk, die Hauptstadt der autonomen Republik Altai erreicht. Hier leben 50.000 Menschen, im ganzen Land 190.000 auf der Fläche Portugals!
Wir erhalten Visa und Erlaubnis für die freie Durchfahrt. Bei einem Stadtbummel durchstreifen wir den kleinen Markt. Eine alte „Babuschka“ zupft mich am Arm und fragt ob wir Deutsche seien – in besten Deutsch erzählt sie dann von ihrer Vertreibung als Wolga Deutsche in diese Region und, daß sie wohl ihre Heimat nie mehr wiedersehen wird. Ich koste eine ihrer eingelegten Gurken und für 10 Rubel ( 30 Pfennig) gibt’s einen ganzen Sack davon. Wir seien herzlich willkommen und Sie wünsche uns ein gute Reise. Berührt ziehe ich weiter – da sind die schönen alten Holzhäuser am Hauptplatz und die mächtige Leninstatue davor, nur noch Beiwerk nach dieser so wunderbaren menschlichen Begegnung.

Unser erstes Lager am Katun Fluß, besteht aus kleinen Holzhäuschen, jeweils groß genug für 2 Personen. Nach einer kräftigen Bortsch Suppe und einem ergiebigen Mittagsschläfchen geht’s zur ersten Wanderung in das Umland. Es ist Bauernland, bei uns wären das Felder von Bergbauern – endlose Hügel mit steilen Grashängen und dahinter Wald bis zum Horizont, nur ab und zu ein kleines Dorf. Auf riesigen Flächen fährt ein einziger Traktor, sonst scheint alles in einem Dornröschenschlaf zu liegen. Wieder ruft uns eine Bauersfrau an den Zaun, meint sie habe Deutsch in Moskau gelernt, dort sei es aber zu hektisch und zu teuer, da lebe sie lieber im einsamen Sibirien, in ihrer kleinen Hütte ohne fließend Wasser. Und was sie zum Leben bräuchte, gebe ihr dieser kleine, wunderbare Gemüsegarten vor ihrem Haus, so wie es vor jedem sibirischen Haus einen gibt. Schon jetzt haben wir unser Herz an diese Menschen verloren.

Wir fahren über den Seminskij Paß, dem Tor zum alpinen Altai und einer Art Wetterscheide in Richtung mongolischer Grenze, wo es immer trockener wird und Grassteppen die Hügel überziehen. Dort wollen wir hin. Sergej, unser Anführer und Boss, zeigt uns auf dem Weg 4000 Jahre alte Steinritzzeichnungen von Jägern und Nomaden und erklärt uns, daß es im Altai 20000 Flüsse, 6000 Seen und 1300 Gletscher gibt. Beeindruckt sitzen wir in unserem „Container“ und rütteln weiter Richtung Mongolei.
Kurz vor der Grenze – mittlerweile sieht es wie in Tibet aus – hinter dem windigen und einsamen Ort Kotsch Agatsch biegt unser Fahrer einfach mal „links“ ab und fährt ohne erkennbaren Weg und Richtung einfach mal so 40km! in die Steppe. Endlose, jetzt im Herbst, goldene Grashänge ziehen von Hügel zu Hügel , am Horizont ein hoher Berg mit Gletscher und darunter ein Zeltlager bei einem Lärchenwald. Alles ist von den Helfern Sergejs schon vorbereitet. –ein riesiges Messezelt ist errichtet,– die Köchin wartet bereits mit bestem russischen Essen, dazu Bier und Wodka: Nach einem traumhaften Sonnenuntergang und ersten Liedern am Lagerfeuer kriechen wir müde wir in unsere Zelte.

Es ist kein Traum – der Morgen ist genauso schön wie der Abend. Bei wunderbarem Wetter haben wir endlose Blicke von dieser Anhöhe, verstehen nun, daß „Altai“ in der Sprache der Mongolen „golden“ heißt. Der Herbst hat eben genau diese Farbe über die Steppe gezaubert.
Nach einem kräftigen Frühstück mit Spiegelei, Käse und Speck ( ein Schluck Wodka, aber bitte dazu), sind wir schon unterwegs. Wir steigen einen Kamm 500m höher und hier öffnet sich der Blick über grenzenlose Weite – kein Ort oder Mensch weit und breit – langsam erfahren wir die ganze Größe dieses Landes, das ja wiederum nur ein kleiner Teil Sibiriens ist. Wir sehen schamanistische Plätze der Nomaden, finden alte Gräber von Siedlern, die hier einst unter härtesten Bedingungen lebten und genießen eine wunderbare Brotzeit unten am Fluß – unsere Bergführer haben alles dabei –Kochtopf, Schinken, Käse, Hartwurst und natürlich etwas Wodka.

All dieses Land gehört seit Urzeiten der Familie von Kampij – einem Nomaden, der mit 10 Kindern in seiner Jurte irgendwo in dieser Steppen lebt. Wir besuchen ihn eines Abends – es ist nur eine Tochter da , die Mutter unheimlich schüchtern, der Hausherr stolz und eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Die besten Speisen werden in der kleinen Jurte aufgetischt – Gastfreundschaft ist Alles in diesem weiten Land. Kampij erzählt uns von seinem harten Leben. 30 Pferde hätten ihm Mongolen letzte Woche gestohlen, er würde sie beim nächsten Mal erschießen, genauso wie er es mit den Wölfen und anderem Getier tut, die seine Schaf- und Ziegenherden anfallen .Kampij ist ein reicher Mann und auf die Frage, was man hier in dieser Einsamkeit tut, wenn man krank wird meint er lakonisch: „hier wird niemand krank, hier ist jeder gesund ! Basta.“
Mit Axel, unserem Geissen Züchter aus Oberbayern, geht er zur großen Herde, uns läßt er daheim- die Tiere würden krank, wenn jemand, der nichts davon versteht , vorbeikäme! Gut wir ergeben uns derweil den Köstlichkeiten im Zelt. Voller Zuneigung und Wärme verabschiedet, verlassen wir diese eindrucksvollen Menschen und fahren zurück zum Lager.

Am nächsten Tag steht der mächtige 3500m hohen Tabduajr auf dem Programm. Wie denn morgen das Wetter werde, fragten wir Witaly unseren Bergführer –Antwort: „Ein Sibirjake fragt nicht wie das Wetter wird – er schaut wie es morgen ist!!“ Das war das letzte Mal, das wir gefragt haben, die Uhren haben wir schon lange abgelegt – so weit wie das Land, sind auch die Aussagen über Uhrzeit oder Abfahrtszeit – schön das es so was noch gibt.

Urali-Mausi fährt uns so hoch wie möglich zum Anstieg, dann gehts weglos weiter, ein Flußbett über Stock und Stein steil hinauf – jeder flucht leise vor sich hin - hier gibt’s halt einfach keine Menschen, daher auch keine Wege! Über uns springen Steinböcke wie die Teufel über die Felsgrate. Endlich stehen wir nach 4 h auf dem Gipfel, weit der Blick nach Süden zum Mongolischen Altai. Sofort ist jede Anstrengung vergessen und ein lustiges Gipfelfoto angesagt. Aber bitte mit Wodka.............

Sergej zeigt uns am nächsten Tag noch Gräber und Versammlungsplätze der Skythen und Turkvölker. Ja tatsächlich die Türken kommen aus diesen Regionen, haben sich mit den Skythen und anderen Völkern vermischt – diese Gegend war eine richtige Völkerdrehscheibe - dann sind sie nach Westen ans schwarze Meer gezogen. So leben heute entlang der ganzen Seidenstraße, bis hinauf nach Jakutien, hoch über dem Polarkreis, Turkvölker – erstaunlich!

Mit unserem Gefährt durchkreuzen wir die Steppe, finden alte Grabplätze, jahrtausendalte Tonscherben. Das tollste sind die Menghiere, Steinstelen die hier überall „rumstehen“, mit Schriftzeichen der Türken, 3000 Jahre alt. Hier ist einfach die Zeit stehengeblieben, Archäologen haben nur die schönsten Fundstücke mitgenommen, der Rest steht und liegt weiterhin unberührt in dieser Weite und Einsamkeit.

Voller Wehmut verlassen wir nun dieses Lager in Richtung Westen ins Hochaltai, etwa 100km entfernt. Von der Hauptstrasse nochmal 30km über schrecklich schlechte Pisten in die Berge. Schließlich müssen wir aussteigen – zu Fuß gehen ist nun sicherer, als sich den Kopf anstoßen im Urali-Mausi. Hier gibt es kein Transportmittel mehr, geschweige denn eine Busverbindung, in dieses bei den Russen berühmte Berggebiet. So sehen wir junge Bergsteiger mit riesigen 60kg schweren Rucksäcken, die von der Hauptstraße aus, all die vielen Kilometer hinaufsteigen in die Hochtäler – mit solch Leidenschaft bergzusteigen, alle Achtung!

Wir wandern langsam durch Koniferen Wälder höher, Beeren und Pilze überall, der Wald auf der anderen Flußseite sieht aus als wenn ihn noch nie ein Mensch betreten hätte. Durch die Wolken schimmern Gletscher und Schneegipfel, nach etwa 4h stehen wir an einem kleinen Bergsee, vor uns eine traumhafte Berghütte, selbst eine eigene Sauna fehlt nicht. Das hätten wir nicht erwartet, wieder mal sprachlos beziehen wir unsere Zimmer. Sergej bereitet schon mal die Sauna vor für den Abend – Sibirien wir lieben dich.

Am nächsten Morgen scheucht uns unser Bergführer bei besten Wetter die ersten Gletschermoränen hinauf zum Eistraining, schließlich haben wir ja noch Größeres vor. Dann vom Gletscher aus überwältigend der Blick: über dem grandiosen Talkessel ragen direkt über uns majestätische Gipfel mit Eisflanken und riesige Gletscher auf, der 4044m hohe Ak Ttru als Hausherr im Norden und die braune Steppe von Kuraj zu unseren Füßen im Osten. Wir üben auf dem blanken Eis das gehen mit Steigeisen und Pickel, Höhepunkt ist eine 10m hohe Eisflanke, die Witalij, einer der besten Russischen Eiskletterer überwindet, als sei Sie nichts. Hier scheiden sich die Geister und nur einige versuchen, natürlich gesichert, diese Herausforderung.

Bei der Hütte wieder angelangt, kommt Sascha, unser Fahrer, mit einem langen Messer und 2 großen Plastiktüten um die Ecke. Er grinst über das ganze Gesicht, die Tüten sind voll mit den leckersten Pilzen. (Pilzesammeln ist Volkssport Nummer 1 in Sibirien). Wo habe er denn die her – „hinter der Hütte“ Ja und wie lange hat das gedauert? 1 Stunde! Stolz marschiert er in die Küche, wo schon die Köchin wartet.

Der 3500m hohe Kupol, lässt seine Verehrer nicht so leicht an sich heran. Eine 800m hohe Steinschlag gefährdete Rinne ist das Bollwerk. 40 Grad steil geht’s über Blockgestein mühselig aufwärts – zwei Schritt vor, einer zurück, ständig bewegen sich die Steinblöcke unter einem, man hat Angst sich den Fuß umzuknicken oder Steinschlag auszulösen. Nach nervenden 2,5h kommen wir endlich auf eine Almwiese mit kleinem Bächlein und erholen uns wieder mit Käse und Speck. Dann auf einer Moräne eine Schutzhütte, peitschender, eisiger Wind und der vergletscherte Gipfelhang vor uns. Der Kupol sieht von hier wie eine gewaltige, monströse Eiskugel aus – ein weißes Bollwerk, durchzogen mit kleinen Rissen und Spalten, genau durch die Mitte der kerzengerade Aufstieg. Schon sind die Steigeisen angeschnallt und los geht’s, Schritt für Schritt. Dieser Gletscher scheint kein Ende zu nehmen – nach jeder Senke, kommt ein neuer Aufschwung, kein Gipfel in Sicht. Irgendwann hat dieser runde, gleißende Eispanzer doch ein Ende- wir stehen überglücklich auf dem breiten Gipfel, gespenstisch ragen hunderte von Schieferplatten senkrecht aus dem Schnee. Traumhaft der Rundblick über den stark vergletscherten Altai, einem 2000km! langen Gebirge das sich von Kasachstan und Rußland bis in die Mongolei erstreckt. An seinen südlichen Ausläufern die Wüste Gobi, im Norden die endlose Taiga Sibiriens. Kein anderes Gebirge ist weiter vom Meer entfernt, 3000km sind es bis zum Nordmeer. Nichts ist vom Belucha, dem 4500m hohen Hauptgipfel des Massives zu sehen, eine Schlechtwetterfront hat ihn eingehüllt. Wir müssen wieder runter.

Der nächste Tag ist der einzig verregnete der ganzen Tour – sonst gibts nur Sonnenschein und 20 bis 30 Grad – Sibirien im Sommer! ( Unsere Tour liegt auf der selben Breite wie Köln....). Macht aber auch nichts – so ein Tag nur zum Entspannen, lesen, Schach spielen, Pilze kochen und vertilgen ( Sascha ist wieder unterwegs), Siesta halten und gemütlich saunieren für Stunden, dazwischen kurze Gesänge mit kleinen Bier- und Wodkarunden, tut der Seele gut und ist für uns gestreßte Europäer so erholsam!!!!

Ein weiteres Abenteuer steht bevor – Rafting auf dem Oberlauf des OB, 130km quer durch ein unzugängliches Bergmassiv, 3 Tage und Nächte. Rafting?, hier in dieser Ecke der Welt, ist das nicht sehr exotisch und aufgesetzt, so fragten uns einige. Im Gegenteil – die Russen lieben seit Jahrzehnten diesen Sport, haben eigene ganz spezielle Boote für das Wildwasser konstruiert und nehmen seit vielen Jahren erfolgreich bei Wettbewerben teil – zur Zeit sogar als amtierende Mannschaftsweltmeister!

Am Jaloman Camp, direkt am Katun Fluß errichten wir unser Lager. Jetzt sinkt doch jedem „Rafter“ das Herz in die Hose – was da hinter den Zelten hinab donnert ist ein gewaltiger Strom, 50m breit, Durchschnittstiefe 7m!, Mindestfließgeschwindigkeit 15km und das bei 5 Grad Wassertemperatur. Sergej meint das die Schwierigkeitsstufen im Durchschnitt bei II +III liegen und nur zweimal auf IV hochschnellen. Keiner sei bisher ertrunken und seine Bootsleute absolute Profis! Wir bekommen Sturzhelm, Schwimmweste und Neoprenanzug verpaßt, sämtliches Gepäck wird verladen und vertäut, ( wir müssen ALLES mitnehmen, es gibt nun keinen Kontakt mehr zur Außenwelt für die nächsten 3 Tage!), Glückwünsche werden verteilt und schon sitzen wir mit „vollen“ Neoprenhosen in den Booten. Angefeuert von russischen Befehlen ( unsere Profis sind absolut einsprachig!) durchpflügen wir die Wellen. Pirjod, Pirjod – vorwärts, vorwärts , klingt es uns noch Tage danach in den Ohren.

Unsere Bootsführer wissen wirklich was sie tun, kennen den reißenden Katun von unzähligen Fahrten, sicher meistern wir die längsten Stromschnellen. z.B. das „Katharinische Kanonenrohr“, eine Schlucht mit einem 14km! langen Wildwasserabschnitt. Mann, wir müssen immer wieder ruhiges Kehrwasser anfahren, so brennen die Muskeln! „Paddeln, paddeln sonst ersaufen wir im Strudel“, so Orginalton von Roman unserem „Extrem-Dolmetscher“. Zweimal geht gar nichts mehr - die Stromschnellen einfach zu hoch, zu schnell und gefährlich für uns. Unsere Führer fahren die Boote selbst hindurch, nur einmal tragen wir fluchend und schwitzend 150m unser 600kg! schweres Raft über Stock und Stein am Ufer entlang.

Die Lagerplätze für die Nacht ein Traum – erhöht auf Sandbänken, die ohne weiteres in der Südsee liegen könnten, errichten wir unsere Zelte. Das Lagerfeuer ist schnell entfacht und schon bald bruzzelt das köstlichste Essen in den Alutöpfen – unsere Jungs sind nicht nur Meister des Raftings!
Bei bestem Wetter und Vollmond sind wir wie betäubt von dieser Einsamkeit hier (oder vom Wodka?), kein Mensch weit und breit, das Rauschen des Flußes einziger Rhythmus.

Leider kommt immer mal ein Ende – nach 3 Tagen steht Sergej winkend am Ufer, hat schon das Lager und eine „Sibirische Sauna“ am Fluß errichtet – große Flußsteine werden durch ein Feuer 2 h erhitzt, dann wird ein Zelt darüber errichtet, die glühenden Steine mit Wasser begossen - fertig ist die Sauna! Wie Kinder peitschen wir uns gegenseitig mit kleinen Birkenzweigen, so wie es Brauch ist und springen johlend danach in den eisigen Fluß.
Mann ist das Leben schön!

Auf dem Weg zurück haben wir uns noch einige Kirchen, Klöster, Museen und Dörfer angesehen, haben noch sehr viel gelacht mit unserer Begleitmannschaft ( und das ohne große Russisch Kenntnisse!), sind noch mal mit der Transsib gefahren und waren todtraurig als es zu Ende ging. Die Russische Seele hat uns einfach gefangen genommen. Liebenswerte Menschen „aus einer anderen Zeit“ so scheint es, vor allem diese Kinder, noch unverfälscht und arglos, was Fernsehen, Video, Werbung und Kommerz betrifft. Einfache Leute, die versuchen dieses harte Leben hier gemeinschaftlich zu meistern, immer gastfreundlich und natürlich. Soweit die Taiga, so groß das Herz dieser braven Menschen!
Doswidanja – Aufwiedersehen, Mütterchen Rußland und das hoffentlich bald............  

Michael Markewitsch, Reiseleiter Hauser Exkursionen

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